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Es reicht!

 

Stell dir vor, du gehst auf die Autor*innenrunde, in Eigenbezeichnung „die Autor*innenkonferenz auf Augenhöhe“, und in der Keynote hat ein etablierter Autor nichts Besseres zu tun, als sich übers Gendern lustig zu machen und dann trans und nonbinäre Menschen mit Dreck zu bewerfen. Und bevor ich mich von meinem Schock erholt habe, referiert Friedrich dann noch 15 Minuten weiter über sich und sein Arbeiten und überhaupt, wie grandios er ist, für alle, die es noch nicht wussten.

Anderen Zuhörenden ging es ähnlich wie mir: Ich war überrumpelt, ich hatte den Impuls, etwas zu tun, war aber völlig hilflos, schnell, wirksam und angemessen zu reagieren. Den Raum verlassen? Was bringt das? Auf die Bühne – und dann?! Was sagen? Und wie soll ich das schaffen? Schon während ich das schreibe, hab ich wieder Puls und das Herz klopft laut … Hinzu kam, dass ich letzte Woche die Menstruation des Grauens hatte mit Krämpfen aus der Hölle (was auch ab und an die Energie etwas fokussieren kann) und mich zudem leider kenne: Ich hätte auf der Bühne in dem Moment wahrscheinlich entweder einfach nur gezittert oder vor Wut geheult. Jedenfalls nichts ruhig und bestimmt sagen können. Denn im Gegensatz zu Friedrich waren wir alle nicht vorbereitet auf diesen Moment.

Und es kotzt mich einfach nur noch an. Du gehst auf ein tolles Event, für das du Zeit und Geld investierst. Du freust dich auf Begegnungen und Austausch. Und immer, wirklich immer, ist da ein etablierter Friedrich, der die Bühne bekommt. Immer ist da eine Orga, die entweder überfordert oder ignorant ist und es nicht thematisiert. Immer sind da Menschen, die es nicht merken (wollen), andere, die überrumpelt sind (zB ich) – und die, die betroffen sind, denen weh getan wird, und die einmal mehr nachdrücklich gesagt bekommen: Du gehörst nicht dazu, Du wirst es nie.

Friedrich ist kein Mensch, der das versehentlich macht oder weil er es nicht besser weiß: Das ist kein tollpatschiges Versehen, kein Unfall, kein Zufall. Das ist Kalkül: Im vergangenen Herbst erst hat mit Kim de l’Horizon eine nonbinäre Person einen wichtigen Preis der Branche weggetragen, einen dieser Preise, die all die Friedrichs und Christians und Peters seit einiger Zeit ja ab und an schon mit weißen Frauen teilen müssen, auch mal mit BIPoC, nun auch noch mit denen aus der LGBTQI+Community und ja, irgendwann ist ja auch mal Schluss, oder?! Dann setzt sich Friedrich hin und bringt die Rede zu Papier, in der er beschreibt, wie unmöglich es für ihn als Mann ist, nonbinäre oder trans Menschen in einem Buch zu beschreiben. Ja, weil die alle so seltsam sind und überhaupt … hihihi und hahaha. Er macht das genau auf der Ebene, mit der er sich (später eventuell doch drauf angesprochen), rauswinden kann mit „wird doch wohl mal sagen dürfen“ und „nur Spaß“ und „nicht so gemeint“ und „alle so überempfindlich neuerdings“ – und sich, wenn es richtig gut läuft, noch als Opfer der ~cancel culture~ aufspielen kann und damit gleich noch ein paar Bücher mehr verkauft.

Nochmal in Langsam: Das ist die Keynote zu einem Event, bei dem im Titel gegendert wird – die Autor*innenrunde, die Autor*innenkonferenz der Buchbranche auf Augenhöhe. Der Typ verdient damit, zu schreiben, und er weiß, was er tut, wenn er so eine Rede schreibt. Er beleidigt ohne jeden Anlass Menschen, die ihm nie in irgendeiner Hinsicht irgendwas getan haben, die einfach nur ihr Leben leben wollen. Und er macht das, weil er keinen Bock hat, die Bühne mit irgendwem zu teilen, die ihm, ihm, ihm zusteht. Und weil er damit durchkommt, denn genau so funktioniert dieses System. Das ist die ganze Geschichte dahinter.

Ja, ich finde auch: Irgendwann ist auch mal Schluss. Ich möchte alle Menschen, die wie ich zur privilegierten weißen Mehrheit gehören, bitten: Lasst uns aufstehen, wo immer es geht. Es gibt keine Neutralität in Sachen Teilhabe. Wenn du nichts dagegen tust, dann tust du etwas dafür. Du hältst anderen die Tür auf oder du hältst sie zu.

Also, was können wir tun?

Für dieses Mal: Darüber sprechen, dass etwas passiert ist, das nicht in Ordnung war. Ein Feedback an Veranstalter*innen geben, das diese Sachen thematisiert, und aktiv um Veränderung bitten. Menschen unsere Solidarität versichern, die verletzt wurden, aktiv um Entschuldigung bitten, weil wir in dem Moment nichts getan haben – und ihnen sagen, dass wir besser werden wollen.

In Zukunft: Aufstehen, wenn wir in der Lage sind, im richtigen Moment aufzustehen. Uns darauf vorbereiten, dass es diesen Moment geben wird. Damit uns nicht jedes Mal erst hinterher die Ideen kommen, wie wir Friedrich hätten stillschalten können.

 

Und überhaupt: Alles tun, um Menschen zu unterstützen, die immer noch vor den Türen stehen. Das bedeutet auch, Platz zu teilen, den wir uns vielleicht ebenfalls erkämpfen mussten. Denn verändern wird sich nur etwas, wenn wir zusammenhalten. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Yesim (Donnerstag, 24 August 2023 12:37)

    Ich wünsche mir, dass wir wie Pippi Langstrumpf in solchen Situationen selbstbewusst, humorvoll aber unbeirrt unseren Protest zeigen. Dass wir auch andere, denen die Friedrichs etc. Unbehagen, aufkeimende Wut bereiten, ermutigen, es uns gleich zu tun. Dass wir dann alle gemeinsam lachen und uns dann erleichtert in schöne Gespräche vertiefen.

  • #2

    Ina (Freitag, 25 August 2023 12:45)

    @Yesim: Ja, das wäre schön :)! Bis dahin haben wir aber wahrscheinlich noch ein Stück Weg vor uns ...